Eberhard Gnahs
Waschkaue 1996

Begegnungen – Erinnerungen von Hendrik Kersten

In den ersten Februartagen 2005 schlich sich ein irgendwie bedrückter Eberhard Gnahs in mein Büro. Normalerweise immer zu einem Schwätzchen aufgelegt, normalerweise immer für einen „großen Auftritt“ gut, schien er zu frösteln und verschwand beinahe in seinem Parka. Das war Eberhard Gnahs, wenn er etwas ausgefressen hatte. Seit Jahren schon führte Eberhard Besucher durch die Hütte, denen er, aus eigenem Erleben, leidenschaftlich die Leiden der Hochöfner vor Augen führte. Als Besucherbegleiter war er normalerweise eine sichere Bank. Doch nun hatte er sich- natürlich ohne Rücksprache- eigenmächtig als Führer durch eine unserer großen Sonderausstellungen eingeteilt und war prompt an die Falschen, nämlich eine mustergültig vorbereitete Schulklasse geraten – ein Desaster!

Als ich Eberhard, Jahre zuvor, zum ersten Mal in „seiner Welt“ besuchte, hauste er im Dachgeschoß eines Schulgebäudes, lehnte sich selbstbewusst in seinem Korbsessel zurück und schaute schelmisch über den Rand seiner Brille. Ich war baff über diesen Kosmos der Bildwelten, die sich achtlos stapelten oder schief an der Wand hingen und das, woran er gerade arbeitete, war Liebe auf den ersten Blick. Ich war spontan bereit, mich von einem nicht unbeträchtlichen Teil meines ersten selbstverdienten Gehalts zu trennen – und habe es bis heute nicht bereut. Lichtkaskaden dringen in die strukturierte Schwärze eines chaotischen Innenraums. Präzise erfasste Motive und Chiffren, die man vermutlich nur entschlüsseln kann, wenn man sich gerade einen Vormittag durch die zerbröselnden Kavernen der Völklinger Hütte getastet hat und folgerichtig für die kompromisslose Ästhetik des Zerfalls aufgeschlossen ist. Ein perfekter Gnahs – ein Vermächtnis.*

Die kesse Selbstinszenierung dieses zu spät gekommenen „Malerfürsten“ brachte mich spontan auf eine Idee. Wie wäre es, wenn der Maler in Cape und Barett gaaanz zufällig den angemeldeten Besuchergruppen des Weltkulturerbes über den Weg laufen würde, malend und schwatzend… So wurde Eberhard Gnahs „der Hüttenmaler“ geboren. Das Intermezzo währte gerade einmal eine Saison, aber das „Etikett“ blieb zäh an ihm haften und er wusste es zu nutzen.

Also was tun? Die Lehrerin wollte ihr Geld zurück und Eberhard drohte ernsthaftes Ungemach, wenn seine kleine Hochstapelei herauskam. Einige Wochen später stand ich in Trier für eine Doppelstunde vor der messerwetzenden Klasse, den misstrauischen Blick der Lehrerin im Rücken und tat mein Bestes, die Scharte wieder auszuwetzen. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir Eberhard schon begraben müssen, er war nach einem entspannten Schwätzchen, voll neuerwachtem Tatendrang aus meinem Büro verschwunden und kurze Zeit später einem geplatzten Blutgerinnsel erlegen.

*Das Bild „Waschkaue“ 1996 Mischtechnik auf Holz, 120 x 90 cm zierte den Titel des ersten saarländischen Industriekultur Standort Kompendiums „Pilotbuch Industriekultur“ 1997) und war 2010 in der Ausstellung „Feuerländer“ in Oberhausen zu sehen.