Dr. Günter Scharwath

Anlässlich der Verleihung des Fritz-Zolnhofer-Preises 2005
an Inge Andler-Laurenz
Sulzbach (Salzbrunnenhaus)
10. November 2005

Es war einmal eine junge Dame in Völklingen, die durch ihre zeichnerische Begabung bereits während ihrer Schulzeit auf sich aufmerksam machte. Und so machte sie sich auf, um an der Staatlichen Schule für Kunst und Handwerk in Saarbrücken zu studieren. Ihr Ziel war es, Modezeichnerin zu werden. Doch in Saarbrücken traf sie auf den Bildhauer Theo Siegle, in dessen Klasse sie die vielfältigen Möglichkeiten des Modellierens kennen lernte. „Nach der Berührung mit dem Material Ton“, so sagt sie es selbst, „war meine Liebe zur Bildhauerei besiegelt“.

Neun Jahre insgesamt widmete sie ihrer Ausbildung. Zunächst war sie von 1951 bis 1957 in Saarbrücken. Dann folgten zwei Jahre an der Werkkunstschule in Düsseldorf bei Prof. Scherer im Bereich der Angewandten Malerei und Plastik. Einen ersten Erfolg hatte unsere Künstlerin bereits im Jahre 1952 zu verzeichnen, als sie bei einem Plakatwettbewerb des saarländischen Kultusministeriums den Ersten Preis und damit ein Reisestipendium nach Griechenland gewann. Ebenfalls als Stipendiatin dieses Ministeriums nahm sie 1956 an der Internationalen Sommerakademie für Bildende Kunst auf der Festung Hohensalzburg teil. Dort begegnete sie als ihrem Lehrer dem römischen Bildhauer Giacomo Manzu. Er bescheinigte ihr gerne, dass er „ihre Fähigkeiten auf dem Gebiet der Plastik“ eingehend kennen gelernt habe und gab ihr aus diesem Grund seine persönliche Empfehlung für ein weiteres Auslandsstipendium mit auf den Weg, das sie drei Jahre später, wiederum in Salzburg, wahrnehmen konnte, um sich eingehend mit der Lithografie zu beschäftigen. Mit dem Jahr 1960 begann dann ihr nicht immer leichter Weg einer freischaffenden Künstlerin. Bewusst begegnet bin ich der Künstlerin Andler-Laurenz vor rund fünfundzwanzig Jahren; noch nicht persönlich, sondern in einem ihrer bedeutenden Werke im öffentlichen Raum. Damals, in den Jahren 1979-81, erbaute der Trierer Architekt Alois Peitz die St.-Monika-Kirche in der Wohnstadt Überherrn. Er gab dieser Kirche die Gestalt einer den christlichen Glauben schützende Burg.

Papst Pius XII, Bleistiftzeichnung 1950

Papst Pius XII,
Bleistiftzeichnung 1950

Meine Mutter

Meine Mutter

Mein Vater

Mein Vater

Unsere Künstlerin war von Anfang an dabei. Sie schuf das sechsflügelige Eingangsportal, das sich perfekt in die grundlegenden Kreisschwünge des Architekten einfügte. In Grauguss ausgeführt zeigen die Türen im Relief die Menschen einholenden Netze im neutestamentlichen Sinn des Menschenfischers.

Auch in die Innenausstattung der Kirche war unsere Künstlerin späterhin mit eingebunden. Die Figur der Madonna, das Taufbecken, der Tabernakel, die Leuchter und das Vortragekreuz entstammen ihrem Atelier. Für sie war es nahezu ein Idealfall, im Vorhinein zu wissen, an welcher Stelle ihre Werke ihren endgültigen Platz finden würden.

Später lernte ich dann auch ihre anderen Werke im kirchlichen-öffentlichen Raum kennen; so beispielsweise in Völklingen ihren Brunnen mit der Mutter-Kind-Figur im Pfarrgarten von St. Eligius, ihre Turmfigur der St. Michaelskirche, oder auch ihr „Sonnengesang“ bezeichnetes Relief in der Kirche St. Konrad auf der Röchling- Höhe.

Von da her betrachtet ist es also in keiner Weise verwunderlich, dass die Gesellschaft für christliche Kunst zu München Inge Andler- Laurenz zu ihren Mitgliedern zählt. Doch es gibt auch noch eine andere Seite ihres Schaffens. Das hängt möglicherweise damit zusammen, dass sie nicht nur in Völklingen geboren und aufgewachsen ist, sondern bis heute auch dort lebt und arbeitet. Diese Stadt der Eisenhütte hat es wohl bewirkt, dass irgendwann in den frühen Jahren ihrer eigenständigen, bildhauerischen Tätigkeit mit Ton und Gips als Arbeitsmaterial auch Eisen und Stahl hinzukamen. Sicherlich hat jeder von ihnen schon einmal- und sei es nur für einen kurzen Augenblick- erlebt, welche Faszination von einem Stück Stahl mit einer glänzend schimmernden Oberfläche oder von einem bizarr geformten, leicht angerosteten Stück Eisen ausgehen, das man einfach am Wegesrand erblickt. Und so können sie sicherlich auch nachvollziehen, wie in einem bildhauerisch tätigen Menschen der Wunsch entsteht, ein solches Teilstück aufzuheben, in der Hand zu wiegen, es wieder mit anderen Teilstücken zu einer sinnvollen Gestalt zusammenzufügen. So ähnlich erging es wohl unserer Künstlerin, wenn sie im Bezirk der Völklinger Hütte die so genannte „Metallurgische“, das heißt den Schrottplatz, aufsuchte.

Ein Problem bei aller künstlerischen Phantasie des Gestaltens blieb dabei das Praktisch- Handwerkliche des Aufbauens und Zusammenfügens. Kurzerhand fasste die Frau und Künstlerin Andler-Laurenz den Entschluss, regelmäßig die Lehrwerkstätten von Saarstahl in Völklingen zu besuchen und dort selbst das Schweißen zu erlernen. Hatte kurz zuvor eine Goldmedaille, die ihr in Metz für ihre Plastik „La Fuite – die Flucht“ verliehen worden war, ihre Meisterschaft als Bildhauerin bestätigt, so war sie jetzt wieder zu einer Lernenden geworden.

Zwei ihrer, nennen wir sie respektlos Großerzeugnisse aus zusammengeschweißten Eisenteilen, die dann entstanden, haben ihren Platz im Öffentlichen Raum gefunden. Zum einen ist es im Foyer der Saarstahlverwaltung in Völklingen „Der Baum“, zum anderen ist es in dem Fraktionsgebäude des Saarländischen Landtages „Der Mann in Eisen“. Im April des Jahres 1988 hat unsere Künstlerin diese beiden Schweißplastiken im Frauenmuseum in Bonn vorgestellt, als die Künstlerinnengruppe Saar unter dem Titel „Saarabande“ das Saarland mittels ihrer Kunstwerke präsentiert hat. „Der Baum“ und „Der Mann in Eisen“ von Andler- Laurenz standen in diesem Zusammenhang stellvertretend für die Landschaft und die Werktätigen unserer Heimat. Zeitungsartikel berichteten im Oktober 1994 unter der Schlagzeile „Sprossenleiter“ als Körper über ihre Wandgestaltung an der Turnhalle in Braunshausen. Unsere Künstlerin hatte damals den Ausschreibungswettbewerb des Saarländischen Turnerbundes und der Gemeinde Nonnweiler gewonnen. Die aus Aluminium geschweißte Arbeit zeigt ihre Fähigkeit eine fast abstrakt zu nennende Verbindung zwischen Mensch und Geräteturnen in ihre eigene Bildsprache zu übertragen. Doch diese Fähigkeit hat sie nie dazu verführt, Werke rein abstrakter Natur, Werke ohne Titel zu schaffen. Ihr Thema bleibt es darzustellen, wie die Menschen in unserem Raum leben und arbeiten. Dabei erstellt sie keine fotorealistischen Tableaus. Sie vereinfacht vielmehr das Individuum zu einer allgemeingültigen Figur oder Gruppe, mit der sich Jeder identifizieren, in die sich jeder integrieren kann.

Diese Möglichkeit für den jeweiligen Betrachter zeigen etwa die begeisterten, fragenden oder auch zweifelnden Menschen ihre Arbeit „Zusammenführung Europas durch den Euro“, die 2000 auf der Landeskunstausstellung zu sehen war. Diese Möglichkeit bezeugen die zwei miteinander redenden Menschen, die sie 2001 auf den Preisplaketten für den Mundart- Wettbewerb der Stadt Völklingen und des Saarländischen Rundfunks unter dem Stichwort „Schwätz kään Blech“ dargestellt hat. Und auch ihre Arbeit, die während eines Stipendienaufenthaltes auf Schloss Wiepersdorf im Brandenburgischen entstanden ist, verdeutlicht dies. Die Idee zu einer Gruppenplastik kam ihr im Deutsch-Französischen Garten Saarbrückens, als sie die dort fröhlich sich aufhaltenden Familiengruppen beobachtete. Sie gab Dieser Arbeit den Namen „Familienfoto“ und die Vorstellung fällt einem leicht, dass man sich einfach dazu stellen könnte. Im Spätherbst vergangenen Jahres war die Gruppe im Saarländischen Künstlerhaus auf der Jahresausstellung des BBK-Saar zu sehen; jetzt steht sie hier auf der Bühne. Eines der grafischen Blätter, die wir hier sehen können verbildlicht sehr deutlich, dass sich unsere Künstlerin auch der Thematik des Bergbaues angenommen hat. Ihre Grafik trägt den Titel „Göttelborn“, und zum Verständnis, zum Hintergrund dieses Blattes gehört es auch zu wissen, dass sie gewissermaßen selbstverständlich in diese Kohlengrube eingefahren ist und die Situation unter Tage vor Ort in sich aufgenommen hat. Ihr jüngstes, sich auf den Bergbau beziehendes Werk steht seit dem September dieses Jahres auf der Bergehalde der Grube Ensdorf. Mit Abraum gefüllte Loren aus der Tiefe der Schächte haben im Lauf langer Jahrzehnte diesen künstlichen Berg mit seinen 150 Höhenmetern entstehen lassen.

Auf eine Initiative des BBK-Saar hin wurde im begehbaren Bereich der Bergehalde ein Weg der Kunst eingerichtet, an dessen Ausgestaltung sich rund 25 Künstlerinnen und Künstler beteiligten. Unsere Bildhauerin war mit einer „Dreiergruppe“ dabei. Doch alsbald zeigte sich, dass es kaum einem Beteiligten gelungen war, die Größe und Wuchtigkeit der Bergehalde mit seinem Kunstwerk zu bewältigen. Unsere Künstlerin war meines Wissens die einzige unter ihnen, die umgehend reagiert hat. Sie entfernte ihre relativ kleine Gruppe und setzte drei Einzelfiguren von 2 Meter großen Bergmännern an deren Stelle. So spannt sich im bisherigen Lebenswerk unserer Künstlerin vom Modell eines Eisenhüttenmannes aus dem Jahre 1970 bis zu den Bergleuten des Jahres 2005 ein großartiger Bogen ihrer Schaffenskraft, der den in der Schwerindustrie arbeitenden Menschen unseres Heimatlandes gewidmet ist.

Vor vier Jahren habe ich an dieser Stelle die Stadt Sulzbach zu ihrem Mut beglückwünscht, den Fritz-Zolnhofer-Preis ins Leben zu rufen. Heute gilt mein Glückwunsch – nach dem Grafiker Fritz Ludwig Schmidt und dem Maler Benno Breyer – der Bildhauerin Inge Andler-Laurenz als in jeder Hinsicht würdigen Trägerin des zum dritten Mal verliehenen Fritz-Zolnhofer-Preises.